KOS

Kompetenzzentrum für Lehrerfortbildung Osnabrück


Navigation und Suche der Universität Osnabrück


Hauptinhalt

Topinformationen

Thematisierung der Ukraine in Schule und Unterricht (Dossier)

Kinder und Jugendliche nehmen aus den Medien sowie durch neue Mitschüler*innen, die aus Kriesengebieten in der ganzen Welt geflüchtet sind, eine verstärkte Kriegsgefahr wahr. Neben den Eltern kommt der Schule als Ort der (Klassen-)Gemeinschaft eine besondere Rolle bei der Verarbeitung von verunsichernden Eindrücken zu. Die Thematisierung und gemeinsame Bearbeitung kann gesellschaftliche Probleme und Lösungen aufzeigen, zugleich aber auch gegenseitiges Verständnis fördern und Hoffnung und Zuversicht stiften. Dazu bedarf es informierter und kompetenter Lehrkräfte.

Das KOS hat wichtige Informationen zum Land und zum Bildungssystem der Urkaine zusammengetragen und bündelt diese im Folgenden zur Unterstützung der Lehrkräfte beim Umgang mit ukrainischen Schülerinnen und Schülern. In unserer Linksammlung zu Angeboten Dritter finden Sie weitere interessante Materialien und Informationen, insb. auch zu den Hintergründen des Ukraine-Krieges.

 Fortbildungen zum Thema "Integration von geflüchteten Schüler*innen (ohne Deutschkenntnisse)" sowie "Begegnung von traumatisierten Jugendlichen" finden Sie hier.

Steckbrief Schulsystem Ukraine

In der Ukraine besteht Schulpflicht. Schülerinnen und Schüler erfahren in der Ukraine eine an den europäischen Standard angelehnte Schulbildung. Alle Kinder sind i. d. R. ab 6 Jahren schulpflichtig und erlernen in der Grundschule Lesen und Schreiben (auch in einer ersten Fremdsprache, zumeist Englisch) und neben den ukrainischen Schriftzeichen auch die lateinischen Schriftzeichen. Das lateinische Alphabet gehört darüber hinaus auch zur Lebenswirklichkeit in den Medien, der Werbung und dem Freizeitbereich. Die mathematisch naturwissenschaftlichen Kompetenzen sind oft auf einem hohen Niveau.

Nach der Grundschule wechseln die Schülerinnen und Schüler auf die „Mittelschule“, eine Differenzierung wie in Deutschland gibt es dabei nicht. Seit 2018 dauert die Schulbildung 12 Jahre. Dies bedeutet, dass alle Schülerinnen und Schüler, die 2018 in die 1. Klasse eingetreten sind, mit Beendigung der 12. Klasse ihren Abschluss machen. Die geflüchteten SuS sollten also in der Regel im alten System beschult worden sein:

4 Jahre Vorschule, 1. bis 4. Klasse Grundschule, 5. bis 9. Klasse Mittelschule/Sekundarstufe I, 10. bis 11. Klasse (nach 2018: 10. bis 12. Klasse) Oberschule/Sekundarstufe II

Sprachkenntnisse: Englisch wird verpflichtend ab der 3. Klasse unterrichtet (seit 2019 ab der  1. Klasse), eine weitere Fremdsprache ist nicht verpflichtend, ab der 5. Klasse kann eine zweite gewählt werden, diese ist sehr oft „Deutsch“.
Der Lehrplan umfasst Kurse in ukrainischer Sprache, ukrainischer Literatur, einer Fremdsprache, Weltliteratur, ukrainischer Geschichte, Weltgeschichte, Geographie, Algebra, Geometrie, Biologie, Chemie, Physik, Sport, Musik und Kunst. An einigen Schulen nehmen die Schülerinnen und Schüler auch an Umwelt- und Staatsbürgerkursen teil.
Die Zuständigkeit von der Vorschulerziehung bis zu den Hochschulen liegt in der Ukraine beim Ministerium für Bildung und Wissenschaft (MBWi). Das Ministerium entwickelt die Bildungsstandards und ist auf allen Ebenen vorgesetzte Behörde für die Institutionen.

Notengebung:

Deutsche Note

Ukrainische Note

Deutsche Note

Ukrainische Note

Deutsche Note

Ukrainische Note

Deutsche Note

Ukrainische Note

1,0

12

2,1

9

3,2

6

nicht bestanden

3

1,3

11

2,5

8

3,6

5

nicht bestanden

2

1,7

10

2,8

7

4,0

4

nicht bestanden

1

 

Auswirkungen der Bildungsreform 2018

Da im Jahr 2018 eine umfassende Bildungsreform nach einem langen Diskussionsprozess begonnen wurde, sind unter den geflüchteten Kindern überwiegend Schüler:innen, die im alten System unterrichtet wurden, weil das neue System erst mit der 1. Klasse in der Grundschule eingeführt wurde. Trotzdem ermöglicht ein Blick auf die Ziele der Reform eine Übersicht über das aktuelle Schulsystem der Ukraine:

Das bisherige Schul- und Bildungssystem stammte noch aus der Sowjetzeit. Das neue Gesetz machte den Weg für umfassende Reformen im Bildungswesen frei. Es orientiert sich an den Empfehlungen des Europäischen Parlaments und des EU-Rates. Im Education Index des UNDP (United Nations Development Programme) aus dem Jahr 2014 belegte die Ukraine den 31. Platz von 187 Ländern. Das Rating spiegelt wider, inwieweit ein durchschnittliches Kind im betreffenden Land im Hinblick auf die nationalen Bildungsstandards eine vollständige Sekundarbildung erhält. Insgesamt bedeutet dies, dass in der Ukraine fast die gesamte Bevölkerung vom Bildungssystem abgedeckt wird. Mit dem Stand von 2017 gab es in der Ukraine 16.700 allgemeinbildende Schulen, von denen ein Fünftel privat waren. Es gab 3,8 Millionen Schüler und 44.000 beschäftigte Lehrkräfte. Eine große Anzahl von Schulen hat weniger als 100 Schüler:innen, was sie aus wirtschaftlicher Sicht ineffektiv macht.

Pro Schüler:in gab die Ukraine umgerechnet nur etwa 380 Dollar (Stand 2017) jährlich aus (die USA 11.000 Dollar; die Tschechische Republik 6.500 Dollar; Ungarn 4.900 Dollar; Russland 3.800 Dollar). Daher haben inoffizielle "Spenden" der Eltern für "Renovierungen von Klassenräumen", die "Ernährung der Kinder" und andere Leistungen einen erheblichen Anteil an der Finanzierung der Sekundarschulbildung. Korruption gehört zum Alltag in der Ukraine. Insbesondere an Hochschulen ist es üblich, Prüfungen zu kaufen. Leider ist dies auch an Schulen nicht unüblich.

Dem neuen Gesetz zufolge sollen die Ausgaben für die Bildung sieben Prozent des offiziellen Bruttoinlandsproduktes (BIP) in der Ukraine betragen. Es sieht vor, dass Kinder mit besonderen Bedürfnissen in den Unterricht an den Schulen des Landes integriert werden. So muss der Staat für entsprechende Lehrkräfte für solche Kinder sorgen, aber auch dafür, dass sich die Kinder von der Schulgemeinschaft nicht ausgeschlossen fühlen. Früher wurden solche Kinder meist zu Hause unterrichtet und waren von ihren Altersgenossen isoliert. Bei der Erstellung eines individuellen Lehrplans sollen alle psychologischen und pädagogischen Bedürfnisse der betroffenen Kinder berücksichtigt werden.

Mit dem neuen Gesetz wurde das Gehalt einer ukrainischen Lehrkraft fast um das Dreifache erhöht. Es beginnt bei umgerechnet 360 Dollar (2017), beziehungsweise drei Mindestlöhnen. Allerdings sind in dem Gehalt organisatorische und andere Aktivitäten der Lehrkräfte inbegriffen, die früher zusätzlich bezahlt wurden. Die Lohnerhöhung soll sich gestuft über zehn Jahre erstrecken.
Die Lehrer:innen erhalten größere Freiheiten: Statt streng die Standard-Lehrpläne umzusetzen, erlaubt das neue Gesetz ihnen, auch eigene Lehrpläne zu erstellen – jedoch unter Einhaltung bestimmter Standards des Bildungsministeriums.
Laut ukrainischem Bildungsministerium gehen ein Drittel der Kinder in kleine ländliche Schulen. Sie haben einen Anteil von zwei Drittel an der Gesamtzahl der Schulen. Dieses Modell ist, was die Finanzierung und Bildungsqualität angeht, nicht effektiv. Deshalb führte das Ministerium mit der Reform von 2018 ein System ein, nach dem Kinder auf dem Lande ihre Grundschulbildung an der nächstgelegenen Schule eines größeren Ortes erhalten. Die älteren Schüler:innen werden zu weiter entfernten Schulen gebracht, wo es wesentlich bessere Bedingungen gibt. So sollen die Möglichkeiten der Schüler:innen auf dem Lande und in den Städten, eine gute Bildung zu erhalten, angeglichen werden. Die bisherigen Verhältnisse erklären auch den Wunsch vieler ukrainischer Geflüchteter nach Unterbringung in einer Großstadt, da sie davon ausgehen, dass dort die Schulen besser sind. (Hier findet sich ein "Werbevideo" auf Englisch über die Reformen und ländliche Schulen.)  

Schulen dürfen eigene Lehrpläne unter Einhaltung der Standards des Bildungsministeriums entwickeln. Darüber hinaus dürfen die Schulen die Unterrichtszeiten und die Struktur des Schuljahres selbst bestimmen. Die Lehrkräfte müssen jährlich ihre Fachkompetenzen nachweisen und verbessern. Dies kann durch Trainings, Kurse, Workshops und Online-Kurse geschehen, die vom Staat bezahlt werden. Eine wichtige Neuerung ist, dass Bildungseinrichtungen verpflichtet sind, über ihre Finanzen Rechenschaft abzulegen. Dies ist eine wichtige Komponente bei der Bekämpfung von Korruption. Jede Schule muss künftig offenlegen, welche Gelder sie erhalten hat, wie und für welche Zwecke sie ausgegeben wurden.

Unter dem folgenden Link finden Sie den PISA-Vergleich (2018) zwischen Deutschland, dem OECD-Durchschnitt und der Ukraine: gpseducation.oecd.org/CountryProfile; ("Data table" und dann auf der linken Seite "Germany" auswählen; letzter Abruf am 1.4.2022)

Sprachen und Sprachkenntnisse in der Ukraine

Die Ukraine ist ein mehrsprachiges Land, in dem Ukrainisch, Russisch, Rumänisch, Ungarisch, Polnisch, Krimtatarisch, Bulgarisch, Gagausisch und andere Sprachen gesprochen werden. 2003 hat die Ukraine die Europäische Charta der Regionalsprachen ratifiziert und sich verpflichtet, die Regionalsprachen des Landes zu schützen. Am meisten verbreitet sind Ukrainisch und Russisch. Die Ukraine war größtenteils über Jahrhunderte Teil des Russischen Reiches und der Sowjetunion, wodurch der russischen Sprache ein höherer Status zukam.
Das Fehlen einer eigenen Staatlichkeit und die russische Herrschaft haben in der Ukraine eine "sprachliche Asymmetrie" bewirkt, die bis heute besteht. Seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 gibt die Mehrheit der Bürger Ukrainisch als Muttersprache an. Bei der Volkszählung 2001 waren es landesweit 67,5 Prozent. Aber man muss auch betrachten, welche Sprache genutzt wird. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit der Ukraine wurden nur 49,3 Prozent der Schüler:innen auf Ukrainisch unterrichtet – im Jahr 2012 waren es schon 81,9 Prozent. Im Jahr 2018 betrachten 68 Prozent der Bürger:innen Ukrainisch als ihre Muttersprache, mehr als 80 Prozent der Schüler:innen und Student:innen wurden auf Ukrainisch unterrichtet, aber nur 50 Prozent sprachen zu Hause Ukrainisch, nur 39 Prozent machten dies auf der Arbeit. Daran wird deutlich, dass in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Sprachen verwendet werden. Somit nutzen sie nicht die Sprache in ihrem Berufsleben, die sie als Muttersprache betrachten und in der sie im Bildungswesen unterrichtet wurden. Grundsätzlich nimmt der Gebrauch des Russischen in der ukrainischen Gesellschaft immer mehr ab.
Das Besondere an der Situation in der Ukraine ist auch, dass es unmöglich ist, das Gebiet einer russischen "Sprachminderheit" territorial klar zu umreißen. Russisch ist keine Sprache einer Region oder eines kompakten Siedlungsgebiets einer Minderheit. In der Ukraine betrachten wenige Menschen ausschließlich Ukrainisch oder nur Russisch als "ihre eigene Sprache". Die meisten beherrschen fließend oder ausreichend beide Sprachen.

In der Umfrage aus dem Jahr 2020 identifizieren sich 86 Prozent als ethnische Ukrainer, sechs Prozent als ethnische Russen, vier Prozent als einer anderen Ethnie angehörend, drei Prozent gaben an, eine gemischte ethnische Identität zu haben; das restliche eine Prozent war entweder unsicher oder beantwortete die Frage nicht.

Quellen

Schul- und Bildungssystem Ukraine

https://www.mk.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/krieg_gegen_die_ukraine_angebote_und_unterstutzung_in_kitas_und_schulen_faqs/hinweise_fur_schulen_und_lehrkrafte/hinweise-fur-schulen-und-lehrkrafte-209729.html (Abruf am 1.4.2022)

https://www.bra.nrw.de/system/files/media/document/file/informationen-zum-schulsystem-in-der-ukraine-2022-03-14.pdf (Abruf am 1.4.2022)

https://wiki.edu.vn/wiki8/2020/12/16/bildung-in-der-ukraine-wikipedia/ (Abruf am 1.4.2022)

https://www.deutsches-schulportal.de/bildungswesen/so-funktioniert-das-schulsystem-in-der-ukraine/ (Abruf am 4.4.2022)

https://eplus.uni-salzburg.at/obvusbhs/content/titleinfo/5410658/full.pdf (Abruf 4.4.2022)

Auswirkungen der Bildungsreform 2018

https://www.bra.nrw.de/system/files/media/document/file/informationen-zum-schulsystem-in-der-ukraine-2022-03-14.pdf (Abruf am 1.4.2022)

https://wiki.edu.vn/wiki8/2020/12/16/bildung-in-der-ukraine-wikipedia/ (Abruf am 1.4.2022)

https://www.deutsches-schulportal.de/bildungswesen/so-funktioniert-das-schulsystem-in-der-ukraine/ (Abruf am 4.4.2022)

https://eplus.uni-salzburg.at/obvusbhs/content/titleinfo/5410658/full.pdf (Abruf am 4.4.2022)

https://www.mk.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/krieg_gegen_die_ukraine_angebote_und_unterstutzung_in_kitas_und_schulen_faqs/hinweise_fur_schulen_und_lehrkrafte/hinweise-fur-schulen-und-lehrkrafte-209729.html (Abruf am 1.4.2022)

https://www.bra.nrw.de/system/files/media/document/file/informationen-zum-schulsystem-in-der-ukraine-2022-03-14.pdf (Abruf am 1.4.2022)

uacrisis.org/de/61084-education-reform-ukraine (Der Link kann nicht direkt aus dem Dokument aufgerufen werden, sondern muss in den Browser kopiert werden; Abruf am 1.4.2022)

https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/189/die-bildungsreformen-in-der-ukraine-von-ministeriellen-ufos-und-verlorenen-generationen (Abruf am 1.4.2022)

www.kinderweltreise.de/kontinente/europa/ukraine/alltag-kinder/schule-in-der-ukraine/ (Abruf 4.4.2022)

uacrisis.org/de/65200-language-need-protection (Der Link kann nicht direkt aus dem Dokument aufgerufen werden, sondern muss in den Browser kopiert werden; Abruf am 1.4.2022)

https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/189/unterrichtssprachen-in-den-ukrainischen-bildungseinrichtungen (Abruf am 1.4.2022)

https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/254/multiple-identitaeten-und-einstellungen-gegenueber-der-ukrainischen-ethnopolitik-ergebnisse-einer-bevoelkerungsumfrage (Abruf am 1.4.2022)

 

 

Topinformationen